Ich verfolge die teilweise erhitzte öffentliche Diskussion zum Thema der Zuwanderung mit großer Gelassenheit. Dieser Blog Artikel entstand auf Geschäftsreise in Afrika. Ein Faktencheck.
Aus- und Zuwanderung in Zahlen
Emigration: In 2022 wanderten 1.2 M Menschen aus Deutschland aus. Davon 270.000 Deutsche und knapp 1 M mit anderer Nationalität. Menschen, die jetzt einer Erwerbstätigkeit im Ausland nachgehen oder etwa die Rente in ihrem Heimatland genießen. Der Trend bei Auswanderung zeigt schon 10 Jahre nach oben. In 2012 wanderten “nur” 711.000 aus. Zielländer sind vorrangig Balkan, Polen, Italien, Türkei, Ungarn, USA, Schweiz, Österreich, Spanien, Griechenland.
Anm.: Ich vermisse persönlich lediglich den afrikanischen Kontinent in der Liste. Disclaimer: Land, Wirtschaftswachstum, Leute und gesunde Ernährung können süchtig machen!
Immigration: In 2021 gab’s 1.3 M Zuzüge. (2022 war mit 2.6 M nicht repräsentativ, wegen Sondereffekt 1.1 M Ukraine Zuwanderung). Am häufigsten wanderten Menschen aus Europa, Syrien, Afghanistan, Türkei, Rumänien, Polen und Bulgarien ein.
Anm.: Afrika spielt auch hier eine untergeordnete Rolle.
Zuwanderung und Arbeitskräftemangel in den Branchen
Auch wenn es morgen in Deutschland einen spektakulären Babyboom geben würde, gibt es die nächsten 20 Jahren bekanntlich ein dickes Stellenbesetzungsproblem. Zuwanderung hilft bei der Linderung. Hier exemplarisch nochmal kurz die Lage in drei Branchen, die die Notglocke geläutet haben
Güterkraftverkehrs- und Busbranche. Es herrscht gravierender Fahrpersonalmangel: Derzeit fehlen etwa 80.000 Lkw-Fahrer:innen. Da ca. 30.000 Lkw-Fahrer p.a. altersbedingt ausscheiden, jedoch nur 15.000 Neue den Beruf ergreifen, verschärft sich der Fahrermangel jährlich um etwa 15.000 fehlende Lkw-Fahrer. In der Busbranche fehlen aktuell 5.000 Busfahrer. In acht Jahren sind es bereits 36.000. Durch die geplante Verlagerung des Individualverkehrs auf ÖPNV werden sich die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln. Dafür werden etwa ein Drittel mehr Busse und zusätzliches Fahrpersonal benötigt. Deshalb werden laut BGL/BDO bis 2030 insgesamt 76.000 neue Buslenker benötigt!
Gesundheits- und Krankenpflegebranche. Der Arbeits- oder Fachkräftemangel im deutschen Gesundheitswesen spitzt sich weiter zu: Im Jahr 2035 können knapp 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden, weil qualifizierte Kräfte fehlen. Das entspricht einem Engpass von 35 Prozent. Die Pflege ist selbst zum Pflegefall geworden.
Handwerk. Es leidet nach einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit (BA) jeder dritte Berufszweig unter erheblichem Fachkräftemangel. Von 177 Handwerksberufen werden inzwischen 68 als sogenannte Engpassberufe geführt. 2018 habe die Zahl noch bei 56 gelegen. Die Bandbreite reiche von Berufen der Bauelektriker über die KFZ-Technik und elektrische Betriebstechnik bis hin zu denen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK). Laut der Engpass-Statistik der BA gehört der Bereich SHK auch zu jenen Bereichen, die die meisten Probleme bei der Besetzung freier Stellen haben. Er rangiert unter allen Berufsfeldern auf Rang 3, hinter Pflegefachkräften und zahnmedizinischen Fachangestellten
Der deutsche Arbeitsmarkt braucht Überbrückungslösungen
Qualifizierte Zuwanderung ist ein wesentlicher Pfeiler, um die voraussichtlich 2 Jahrzehnten andauernde demografische Delle in Deutschland zu überbrücken. Mein Unternehmen Bluekazi Group ist dabei einer der vielen passionierten Relocation Akteure. Sorgfältiges Screening, Deutschkurse im Heimatland, kulturelle Onboarding-Trainings sind in der Orchestrierung im Rahmen des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes für die Akteure selbstverständlich. Wenn Deutschlands Demographie in 20 Jahren wieder wächst, ist es durchaus erwartbar, dass sich zahlreiche Zugewanderte wieder in der Auswanderungsstatistik wiederfinden. Warum Afrika ihre Professionals dann selber braucht lest ihr unten.
Das Bevölkerungswachstum in Afrika wird in Deutschland häufig skeptisch beäugt. Dabei ist es die Grundlage für Afrikas blühende Zukunft. Derzeit befinden sich 70 Prozent der chinesischen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, mehr als in Europa und in den USA und vor allem mehr als in Afrika mit 56 Prozent. Aber in fünfzig Jahren wird nach UN-Prognosen China in dieser Rangliste das Schlusslicht bilden, mit 56 Prozent wie Afrika heute, während Afrika mit 65 Prozent die Spitzenposition einnimmt.
Das bedeutet eine Umkehr der globalen Machtverhältnisse. China, derzeit noch als kommende Weltmacht hofiert, hat durch seine kurzsichtige Ein-Kind-Politik seine demografische Dividende verspielt. China wird in wenigen Jahrzehnten vergreisen, so wie Japan heute, und Afrika wird China als Werkbank der Welt ablösen. Und das nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Kinder. Und weil sich bis 2050 Afrikas Bevölkerung auf 2.5 Mrd verdoppelt, bildet sich dort gleichzeitig ein gewaltiger Konsumentenmarkt.
Leben in einer Vielfaltsgesellschaft
Die Vielfalt oder Diversity in good old Germany ist größer geworden. Und wird noch größer. Das ist gut so. Jede vierte Person hat einen Migrationshintergrund (mich eingeschlossen), jeder 9. Mensch hat eine Behinderung, die religiöse Vielfalt zählt nun 140 verschiedenen Religionsgemeinschaften usw. Rücküberweisungen und Investitionen der Völkergruppen in ihre Heimatländer lassen neue Absatzmärkte - auch für Deutsche Unternehmen - heranwachsen. Außerdem ersetzt es ein Instrument aus alten Zeiten: die Entwicklungshilfe.
Anm.: Ein vergleichender Blick nach Ostafrika. Tansania und Kenia haben zusammen 110M Einwohner. Etwas mehr als in Deutschland. In Kenia gibt es 43 Volksgruppen. 2020 wurden fast 100 Tsd. Inder offiziell zur 44. Volksgruppe. Die gut 50 Tsd. Chinesen würden gerne 45. Volksgruppe werden. Es gibt religiöse Diversiteit: Christentum (80%), Islam (11%) und sonstige Religionen (9%). In Tanzania wiederum ist 63% Christ, 34% Muslim. Auf Tansania’s Trauminsel Sansibar, mit Deutschen als drittstärkste Touristen Quelle, sind 95% Muslim. Ob Sansibar oder die Türkei als Urlaubsregion - von der Religion sehr vergleichbar. Dort genießen wir die islamische Kultur und Gastfreundschaft. #religionsfreiheit
In Deutschland herrscht gleichzeitig bei 7% Muslime augenscheinlich größte Aufregung und Angst. Derweil leben in Ostafrika viele Gruppen ohne große Vorurteile in einer respektvollen Koexistenz. Keine Spur von gegenseitigen Gefühlen der Überfremdung. Es geht also!
Sind große Asylantengruppen in Deutschland die Syrer und Afghanen, sind es in Kenia Flüchtlinge aus Somalia, Südsudan, DRC und Äthiopien. Jedes Land der Welt bewältigt seine ganz eigene Asyl- und Arbeitsmigrationsströme. Zuwanderung ist keinesfalls ein deutsches Phänomen. Es braucht den beiderseitigen Respekt, den Willen einer Koexistenz und aktive Integration in die Gesellschaft.
Vielfältigkeit kann auch Konflikte verursachen. Sie kann Ängste, Vorurteile und Ablehnung auf der einen Seite und Unsicherheit im Umgang mit ihr auf der anderen Seite hervorrufen. Das scheint, was viele Menschen in Deutschland oder Europa aktuell offenbar verspüren - im Unterschied zu Kenia. #GermanAngst
Dabei haben Organisationen längst eines erkannt: Eine vielfältige Belegschaft in Bezug auf alle Diversity-Dimensionen stärkt nicht nur nachweislich das Betriebsklima, sondern steigert auch die Innovationskraft und damit den wirtschaftlichen und auch internationalen Erfolg von Unternehmen und Institutionen.
Wohin also mit der weltberühmten German Angst vor “fremd” und Veränderung? Obwohl ohne “fremd” ein guter Zugang zu neuen internationalen Absatzmärkten, als Ausgleich für den schrumpfenden europäischen Kontinent, schwerfällt. Ohne “fremd” keine kulturelle und kulinarische Bereicherung. Ohne “fremd” keine Berührungen mit anderen gesunden Ernährungsweisen, die mithelfen, unsere Krankenkassenbeiträge zu senden. Die Reihe lässt sich leicht fortsetzen.
Mein persönliches Remedy: ein paar Reisen “out of the Box”. Ob etwa in ein islamisches Land oder generell auf einen anderen Kontinent. Wenn man sich dabei wirklich auf die Lokalbevölkerung einlässt, schmelzen eigene Vorurteile und Angst garantiert schneller als Schnee vor der Sonne. Wir wollen das umgekehrt ebenso von Zuwanderern erwarten.
Ich freue mich auf Eure nicht-politischen Kommentare!
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